Kontrolliertes Trinken – Der gefährliche Kompromiss oder die Illusion der Kontrolle?

Das Konzept des kontrollierten Trinkens hat in den letzten Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen, besonders im Bereich der Suchtprävention und Therapie. Es richtet sich vor allem an Menschen, die zwar erkannt haben, dass ihr Alkoholkonsum problematisch ist, die aber den Weg der vollständigen Abstinenz kategorisch ablehnen. Sie wollen oder können sich ein Leben ohne Alkohol einfach nicht vorstellen – sei es, weil der Alkohol längst zum festen Bestandteil ihres sozialen Lebens gehört, oder weil sie die Flucht in den Alkohol als Bewältigungsstrategie für emotionale oder körperliche Belastungen nutzen. Für viele ist der Gedanke, „nie wieder“ trinken zu dürfen, so unerträglich, dass sie jede Therapie ablehnen.

Hier setzt die Idee des kontrollierten Trinkens an. Anstatt völligen Verzicht zu fordern, erlaubt es den Betroffenen, ihren Alkoholkonsum bewusst zu steuern und in „erträgliche“ Bahnen zu lenken. Es klingt wie ein Kompromiss: Nicht ganz aufhören, aber auch nicht mehr so viel trinken – eine scheinbar praktikable Lösung für Menschen, die den radikalen Bruch mit dem Alkohol nicht schaffen. Doch funktioniert das tatsächlich?

Wie kontrolliertes Trinken überhaupt ins Gespräch kam

Die Idee des kontrollierten Trinkens hat ihren Ursprung in den 1960er Jahren, als Forscher und Therapeuten nach Alternativen zu den strikten „Alles-oder-nichts“-Ansätzen suchten. Dabei wurde erkannt, dass viele Menschen mit einem problematischen Konsum nicht unbedingt eine völlige Abstinenz anstrebten. Sie sahen den Alkohol nicht als zentrales Problem, sondern als etwas, das sie lediglich „besser in den Griff“ bekommen wollten.

Ein frühes Beispiel für die Anwendung des Konzepts war das „Behavioral Self-Control Training“, bei dem Betroffene Methoden erlernten, ihren Konsum zu überwachen und selbstständig zu regulieren. Damals dachte man, dass dieses Konzept helfen könnte, die Entstehung einer Abhängigkeit zu verhindern oder zumindest den Konsum so weit zu drosseln, dass schwerwiegende körperliche und soziale Folgen vermieden werden könnten. Man war der Überzeugung, dass jeder Mensch in der Lage sein sollte, durch bloße Willensanstrengung und ein bisschen Disziplin das Trinken zu kontrollieren.

Doch diese Annahme hat sich in der Praxis als trügerisch herausgestellt.

Für wen kontrolliertes Trinken gedacht ist

Das Konzept des kontrollierten Trinkens wird oft als Brücke für jene propagiert, die sich nicht sofort auf eine Abstinenztherapie einlassen wollen oder können. Für Menschen, die seit Jahren trinken, hat Alkohol oft nicht nur eine soziale, sondern eine psychologische Funktion. Viele trinken, um mit Stress, Einsamkeit, Depressionen oder Traumata fertig zu werden. Alkohol wird zum Mittel, um sich vor unangenehmen Gefühlen oder Situationen zu schützen. Für diese Menschen bedeutet der Gedanke, auf Alkohol verzichten zu müssen, eine massive Bedrohung.

Hier kommt kontrolliertes Trinken ins Spiel. Es bietet einen scheinbar realistischen Ansatz, zumindest einen Teil des Alkoholkonsums zu behalten, ihn aber in „gesündere“ Bahnen zu lenken. So sollen zumindest einige der negativen Auswirkungen des Alkohols – wie gesundheitliche Schäden oder soziale Probleme – eingedämmt werden. Ein reduzierter Alkoholkonsum könnte das Risiko von Lebererkrankungen, Herz-Kreislauf-Problemen und sogar Krebs erheblich verringern. Studien haben gezeigt, dass bereits eine Reduktion des Konsums von chronischen Trinkern auf etwa die Hälfte des ursprünglichen Konsums positive Effekte auf die Gesundheit haben kann.

Doch hier liegt der Haken: Während das kontrollierte Trinken kurzfristig vielleicht eine Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens bringen kann, ist es langfristig für Menschen, die bereits eine Abhängigkeit entwickelt haben, fast unmöglich, dieses Maß beizubehalten.

Warum kontrolliertes Trinken auf Dauer scheitert

Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit, und sie funktioniert anders als andere Verhaltensweisen, die man durch reine Willenskraft beeinflussen könnte. Der Körper und das Gehirn verändern sich durch jahrelangen Konsum. Der zentrale Mechanismus, der hinter der Abhängigkeit steckt, ist die Veränderung im Belohnungssystem des Gehirns. Das Belohnungssystem wird durch den Konsum von Alkohol aktiviert, indem der Neurotransmitter Dopamin ausgeschüttet wird. Dies führt zu einem Gefühl von Glück oder Erleichterung. Mit der Zeit jedoch stumpft dieses System ab – der Körper gewöhnt sich an den Alkohol, und es wird immer mehr benötigt, um den gleichen Effekt zu erzielen. Diese Toleranzentwicklung führt dazu, dass die Betroffenen immer mehr trinken müssen, um das gleiche Gefühl zu bekommen.

Hier beginnt das eigentliche Problem des kontrollierten Trinkens. Selbst wenn es einem Alkoholabhängigen gelingt, den Konsum vorübergehend zu reduzieren, holt ihn das Verlangen nach mehr Alkohol früher oder später ein. Die Mechanismen, die zu einem unkontrollierten Trinkverhalten führen, sind in der Regel stärker als die Willenskraft, die nötig wäre, um den Konsum dauerhaft zu begrenzen. Das erklärt auch, warum der Versuch, „nur ab und zu“ zu trinken, bei alkoholkranken Menschen so oft scheitert.

Wissenschaftliche Untersuchungen stützen diese These. Eine großangelegte Studie der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen zeigte, dass Menschen mit einer diagnostizierten Alkoholabhängigkeit selten in der Lage sind, über einen längeren Zeitraum ihren Konsum zu kontrollieren. Die Forscher stellten fest, dass selbst bei gutem Willen und ernsthaften Bemühungen die meisten Betroffenen früher oder später in alte Trinkmuster zurückfallen. Der Grund dafür liegt in der neurobiologischen Natur der Abhängigkeit: Das Gehirn hat sich durch den Alkoholkonsum so stark verändert, dass die Kontrolle über das Trinken irgendwann unweigerlich verloren geht.

Kontrolliertes Trinken – ein trügerisches Sicherheitsgefühl

Ein weiterer gefährlicher Aspekt des kontrollierten Trinkens ist das falsche Sicherheitsgefühl, das es vermittelt. Menschen, die glauben, ihren Konsum „im Griff“ zu haben, sehen oft keinen Grund, etwas an ihrem Verhalten zu ändern. Sie wiegen sich in der Illusion, dass sie ja weniger trinken und dadurch weniger gefährdet seien. Doch diese Sichtweise übersieht die Tatsache, dass selbst eine reduzierte Menge Alkohol immer noch gesundheitsschädlich sein kann – und das Risiko für Rückfälle drastisch erhöht.

Ein Beispiel dafür ist die sogenannte „Feierabend-Bier-Falle“. Viele Menschen, die versuchen, ihren Konsum zu kontrollieren, erlauben sich nur ein oder zwei Gläser Alkohol am Tag. Doch genau diese „kleinen“ Mengen können dazu führen, dass das Verlangen nach mehr angefacht wird. Das Feierabendbier wird zur täglichen Routine, und die Selbstdisziplin beginnt zu bröckeln. Schnell steigert sich die Trinkmenge wieder, und ehe man sich versieht, ist man wieder im alten Konsummuster gefangen. Das kontrollierte Trinken scheitert, und der Weg zurück in die Abhängigkeit ist geebnet.

Auch das soziale Umfeld spielt eine Rolle. Für viele Menschen ist Alkohol ein fester Bestandteil von gesellschaftlichen Anlässen. Ein Glas Wein zum Abendessen, das Bier im Fußballstadion oder der Sekt an Silvester – überall lauern Versuchungen. Wer glaubt, seinen Konsum kontrollieren zu können, findet sich oft in Situationen wieder, in denen es schwerfällt, bei nur einem Glas zu bleiben. Es entsteht sozialer Druck, und plötzlich wird aus „nur einem Drink“ wieder ein ganzer Abend voller Alkohol.

Der gefährliche Endpunkt: Tod durch Alkohol

Die traurige Realität ist, dass viele Menschen, die auf kontrolliertes Trinken setzen, früher oder später die Kontrolle endgültig verlieren. Langfristig führt diese Art des Trinkens in vielen Fällen zu einem tödlichen Ende. Alkoholabhängigkeit ist eine progressive Krankheit, das heißt, sie verschlimmert sich mit der Zeit, wenn sie nicht konsequent behandelt wird. Die Schäden, die Alkohol anrichtet, können sich schleichend entwickeln, aber sie sind verheerend. Leberzirrhose, Bauchspeicheldrüsenentzündung, Herzversagen, Krebs – das sind nur einige der potenziell tödlichen Erkrankungen, die durch chronischen Alkoholkonsum verursacht werden.

Menschen, die glauben, ihren Alkoholkonsum kontrollieren zu können, übersehen oft die gesundheitlichen Folgen, die bereits geringe Mengen Alkohol anrichten können. Schon ein Glas Wein pro Tag erhöht das Risiko für bestimmte Krebserkrankungen erheblich. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Hirnschäden sind mögliche Langzeitfolgen selbst bei moderatem Konsum.

Und dann gibt es noch die Gefahr der Unfälle. Alkohol beeinträchtigt die Urteilsfähigkeit und Reaktionszeit. Schon kleine Mengen können das Risiko erhöhen, im Straßenverkehr oder in anderen gefährlichen Situationen Fehler zu machen. Viele Menschen, die dachten, sie hätten ihren Konsum unter Kontrolle, enden in tragischen Verkehrsunfällen oder tödlichen Unfällen zu Hause.

Die einzig wirkliche Lösung: Abstinenz

Letztlich bleibt nur eine Schlussfolgerung: Für Menschen, die alkoholkrank sind, ist die vollständige Abstinenz der einzige Weg, um die Kontrolle über ihr Leben zurückzuerlangen. Kontrolliertes Trinken mag kurzfristig wie ein akzeptabler Kompromiss erscheinen, aber langfristig ist es eine Illusion. Die Suchtmechanismen, die im Gehirn wirken, machen es unmöglich, dauerhaft „ein bisschen“ zu trinken, ohne in alte Muster zurückzufallen.

Der Weg zur Abstinenz ist hart, aber er ist der einzige, der wirklich funktioniert. Wer diesen Weg geht, braucht Unterstützung – durch Therapie, Selbsthilfegruppen und ein starkes soziales Umfeld. Aber es ist ein Weg, der langfristig zu einem gesünderen und stabileren Leben führt.

 

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