Selbstmitleid
Menschen mit Suchtproblemen haben oft viel Selbstmitleid. Das sagen sowohl Familienangehörige als auch Gruppen zur Selbsthilfe und Therapeuten. Wenn Betroffene sich selbst bedauern, schlecht behandelt wurden oder eine schwere Kindheit erwähnen, nehmen das die Angehörigen irgendwann nicht mehr gut auf, besonders wenn es ständig wiederholt wird. Selbstmitleid löst die Suchtproblematik nicht, sondern bietet eher Ausreden, um nichts zu verändern und beim Alten zu bleiben. Die Umgebung sieht das als Abwehrmechanismus, um nicht selbst Verantwortung zu übernehmen. Dabei wird nicht geleugnet, dass die Betroffenen kritische Lebensereignisse hatten. Selbstmitleid kann auch einen Mangel an Veränderungsmotivation oder Hoffnungslosigkeit zeigen. Es geht darum, dass Betroffene nicht bereit oder nicht in der Lage sind, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, selbst wenn die Umstände schwierig sind. Es gibt viele Gründe für Selbstmitleid. Diese werden im Folgenden näher erläutert.
Was ist Selbstmitleid?
Selbstmitleid ist eine negative emotionale Reaktion. Dabei bedauert man sich selbst, sieht sich als Opfer und konzentriert sich übermäßig auf die eigenen Probleme, Schwierigkeiten oder Leiden. Oft sind selbstmitleidige Menschen sehr auf sich selbst fokussiert und betonen ihre eigenen Schwierigkeiten im Vergleich zu den Problemen anderer. Selbstmitleid wird problematisch, wenn es dauerhaft die sozialen Interaktionen bestimmt. Langfristig kann es dazu führen, dass sich eine Person hilflos, passiv oder resigniert fühlt. Solche Menschen haben Schwierigkeiten, Verantwortung für ihre Situation zu übernehmen oder positive Veränderungen herbeizuführen. Das Ausmaß und die Häufigkeit von Selbstmitleid sind entscheidend für das Gelingen sozialer Beziehungen und das eigene Wohlbefinden. Ein gewisses Maß an Selbstmitleid ist unproblematisch und kann sogar entlastend sein. Dauerhaftes Selbstmitleid ist jedoch sehr problematisch, da es zu Passivität und Resignation führt und sowohl das soziale Umfeld belastet als auch die betroffene Person selbst.
Wann entsteht Selbstmitleid besonders oft?
Selbstmitleid tritt häufig in bestimmten Lebenssituationen auf. Menschen können aus verschiedenen Gründen zu Selbstmitleid neigen, zum Beispiel:
Typische Selbstmitleidssätze
Es gibt viele Arten von selbstmitleidigen Äußerungen. Oft sind diese verbal und nonverbal. Nonverbale Äußerungen wirken antriebsarm, verlangsamt und freudlos und fordern zum Bedauern auf. Verbale Äußerungen handeln von Themen wie: „Ich kann das nicht“, „Es hat keinen Sinn“, „Ich hatte eine schwere Kindheit“, „Keiner mag mich“, „Keiner versteht mich“, „Mit mir will niemand etwas zu tun haben“, „Alle hacken auf mir rum“ oder „Wenn du wüsstest, wie es mir geht, würdest du anders reden“. Auch wenn viele dieser Aussagen depressiv wirken, bedeutet das nicht unbedingt, dass die Person an einer Depression leidet. Oft geht es um Resignation, Hilflosigkeit, Apathie und Einsamkeit. Wichtig ist, dass sich selbstmitleidige Menschen nicht für ihren Zustand oder ihre psychische Erkrankung verantwortlich gemacht fühlen. Dies verstärkt das Selbstmitleid und vermittelt unberechtigterweise Schuldgefühle. Stattdessen sollten sie ermutigt werden, Verantwortung für die Veränderung ihrer Situation, ihrer Einstellung und Selbstwahrnehmung zu übernehmen. Es sollte darauf geachtet werden, aktiv zu werden und zwar auch in kleinen Schritten!
Chronisches und starkes Selbstmitleid ist ein destruktives Verhaltensmuster, das das Wohlbefinden und die Lebensqualität stark beeinträchtigen kann. In solchen Fällen ist es wichtig, eine genaue psychologische Diagnose zu stellen und gegebenenfalls psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Formen und Hintergründe des Selbstmitleids
Selbstmitleid kann verschiedene Ausprägungen und Hintergründe haben. Hier sind die häufigsten und wichtigsten:
Narzisstisches Selbstmitleid
Narzissmus zeigt sich durch ein schwaches Selbstwertgefühl. Betroffene bekommen nicht genug Anerkennung, Bestätigung oder Zuwendung und fühlen sich dauerhaft ungerecht behandelt. Diese Sichtweise auf sich selbst und das eigene Leben ist oft verzerrt und unflexibel. Menschen mit narzisstischem Selbstmitleid leiden und machen ihr Umfeld ebenfalls leiden. Sie sind nie zufrieden und verlangen immer mehr. Narzisstisches Selbstmitleid wird als Anklage an andere wahrgenommen, die dem Betroffenen nicht genug gegeben haben. Suchtmittel werden genutzt, um die unerträgliche Realität erträglicher zu machen und um sich von der Realität zu entfernen. Sie schaffen ein künstliches Gefühl der Größe. Chronisches Selbstmitleid gehört zu den Symptomen des fragilen Narzissmus, wo die Person ein schwaches Selbstbild hat, dies aber überspielt und anderen die Schuld gibt.
Posttraumatisches Selbstmitleid
Viele Suchtkranke haben in ihrer Kindheit und Jugend traumatische Erfahrungen gemacht. Bei Drogenabhängigen sind es mehr als 80 %, bei Alkoholabhängigen mehr als 40 %. Diese Traumata umfassen Vernachlässigung, körperliche und emotionale Misshandlung, sexuellen Missbrauch sowie Unfälle und körperliche Verletzungen. Wenn traumatisierte Suchtkranke viel Selbstmitleid zeigen, ist das ein Zeichen dafür, dass sie immer noch unter den Folgen der Traumatisierung leiden. Sie versuchen, durch Selbstmitleid Erleichterung und Mitgefühl von anderen zu bekommen. Übermäßiges posttraumatisches Selbstmitleid führt jedoch dazu, dass sie in der Traumatisierung gefangen bleiben und das ursprüngliche Problem nicht bewältigen können. Starker Substanzgebrauch kann zwar die Effekte der Traumatisierungen dämpfen, löst aber die Grundproblematik nicht.
Depressives Selbstmitleid
Eng verbunden mit traumatischem Selbstmitleid ist das depressive Selbstmitleid. Bei einer anhaltenden Depression entsteht oft eine starke Neigung zum Selbstmitleid. Die Betroffenen fühlen sich in ihrer depressiven Stimmung gefangen und machen sich selbst dafür verantwortlich. Dies erhöht den inneren Druck und die psychische Spannung. Da sie ihre Probleme nicht lösen können, wird Selbstmitleid zu einem Ventil in ihrem depressiven Kreislauf. Depressives Selbstmitleid ist oft mit Einsamkeit verbunden und zeigt einen Zustand hoher Bedürftigkeit, während die Fähigkeit, sich gut auszudrücken, gering ist.
Selbstmitleid aus Opfermentalität
Menschen mit einer ausgeprägten Opfermentalität sehen sich oft als Opfer von Umständen oder anderen Menschen. Dies entspricht nicht immer der Realität, sondern zeigt häufig einen Mangel an Verantwortungsbewusstsein und Realitätssinn. Egal, wie die Umstände im Lebenslauf waren, ist es besser, aktiv zu werden und Verantwortung für Veränderungen zu übernehmen. Andernfalls ist die Gefahr groß, anderen die Schuld für die eigenen Probleme zu geben und sich machtlos zu fühlen. In einer solchen chronischen Opferrolle bleibt die Motivation zur Veränderung gering, auch weil diese Rolle einige Vorteile mit sich bringt, wie zum Beispiel das Vermeiden von Verantwortung. Personen mit einer externen Attribution sehen Ursachen für Ereignisse außerhalb ihrer eigenen Person und glauben, dass sie keine Kontrolle über ihr Leben haben. Diese Menschen akzeptieren oft, von der passiven Rolle abhängig zu sein, was in einer Gesellschaft, in der Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft negativ betrachtet werden, viele Vorteile bringen kann.
Selbstmitleid durch Perfektionismus
Perfektionisten setzen sich unrealistische Standards und zu hohe Ziele, weshalb sie immer wieder scheitern. Sie sind sehr hart zu sich selbst, wenn sie diese Standards nicht erreichen. Das führt oft zu Selbstkritik und einem Gefühl der Unzulänglichkeit, was zu einer selbstmitleidigen Haltung führen kann. Statt ihre übertriebenen Ansprüche an sich selbst zu ändern, bleiben sie der Utopie des Perfekten verhaftet. Dies kann zu Depressionen führen und dazu, dass sie Substanzen konsumieren, um mit den Folgen ihres unrealistischen Denkens umzugehen. Sie verfangen sich immer mehr im Selbstmitleid, während sie die Ursachen ihres Scheiterns nicht ändern.
Passiv-aggressive Grundhaltung
Chronisches Selbstmitleid kann auch aus einer passiv-aggressiven Haltung oder sogar einer passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung resultieren. Diese Menschen haben oft eine versteckte, aber starke Aggressivität gegenüber ihrer Umwelt, die sich in negativistischen Äußerungen äußert. Häufig haben sie ein negatives Weltbild und fühlen sich betrogen und benachteiligt, was zu Selbstmitleid führt. Sie haben das Gefühl, sich wehren zu müssen, können das aber nur verdeckt tun. Indirekte Vorwürfe und Anklagen erzeugen den Eindruck starker Unzufriedenheit und Selbstbemitleidung.
Passivität als Grundmerkmal
Selbstmitleid ist oft von Passivität geprägt. Die betroffene Person glaubt, dass sie nichts an ihrer Situation ändern kann, und unternimmt daher keine Anstrengungen, um ihre Situation zu verbessern. Diese Resignation wird verstärkt durch eine Neigung, sich in Selbstmitleid zu verlieren. Solche Menschen können die Realität nicht mehr klar wahrnehmen und sehen keinen Ausweg mehr. Sie haben Schwierigkeiten, sich selbst zu motivieren, auch in kleinen Schritten aktiv zu werden. Bei Suchtkranken ist die Gefahr besonders hoch, dass sie in einen Teufelskreis der Passivität und des Selbstmitleids verfallen. Hier wird es umso wichtiger, dass sie bereit sind, sich Hilfe zu suchen, um den ersten Schritt zur Veränderung zu wagen.
Fazit
Selbstmitleid ist ein komplexes emotionales Phänomen, das häufig bei Menschen mit Suchtproblemen auftritt. Es kann viele Formen annehmen, von narzisstischem über posttraumatisches bis hin zu depressivem Selbstmitleid. Während es in Maßen hilfreich sein kann, um Mitgefühl von anderen zu erhalten, wird es problematisch, wenn es die Lebensqualität und die sozialen Beziehungen negativ beeinflusst. In vielen Fällen ist es entscheidend, die Ursachen für das Selbstmitleid zu erkennen und aktiv zu arbeiten, um eine positive Veränderung herbeizuführen. Psychotherapie kann dabei helfen, die Wurzeln des Selbstmitleids zu verstehen und den Betroffenen zu motivieren, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und aktiv an Veränderungen zu arbeiten.
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